Volk auf dem Weg
"Volk auf dem Weg - Geschichte und Gegenwart der Deutschen aus Russland"
hieß die Wanderausstellung, die vom 28. September bis 18. Oktober 2005 anläßlich des 60-jährigen Bestehens des Grenzdurchgangslagers Friedland vor Ort zu sehen war. Unser Bilderbogen zeigt die Höhen und Tiefen der Familiengeschichte der Biedlingmaiers aus Katharinenfeld/ Kaukasus als kleinen eindrucksvollen Teil der aufgestellten Schautafeln.
1817 Die Vorfahren der Familie Biedlingmaier wanderten mit insgesamt 1500 Familien (etwa 9000 Personen) aus Württemberg nach Russland in den Kaukasus aus.
1818 Zusammen mit 135 deutschen Familien gründete die Familie des Tobias Biedlingmaier (geb. 1763) aus Plochingen am Neckar das deutsche Dorf Katharinenfeld. Es lag 50 km von Tiflis entfernt in dem lieblichen Flußtal des Muschaweri, das von Bergen umgeben war. Der höchste Berg hieß Georglesberg und war das Zeitzeichen der deutschen Kolonie. Mitten im Dorf erhob sich der stattliche Turm der evangelischen Kirche. Heute heißt der Ort Bolnisi.
1826 Nach einer harten Aufbauphase kam das erste Leid über Katharinenfeld. Am 27. August 1826 überfielen mehr als tausend Reiter Kurden, Türken, Perser und Tataren - das Dorf. Von den 400 Bewohnern entkamen nur 250 den Mordbrennern.
1830 - 1880 Mit viel Mut, Tapferkeit und Fleiß bauten die Überlebenden, darunter auch die Familie Biedlingmaier, Katharinenfeld wieder auf und brachten es zu einem ansehnlichen Wohlstand. Der Weinbau war der Haupterwerbszweig des Ortes, zu dem ausgedehnte Weingärten gehörten. Ferdinand Biedlingmaier (1834 1918), der Urgroßvater des Verfassers, baute zwischen 1860 und 1870 ein neues, stattliches Familienhaus, ein typisches Winzerhaus, das dann sein ältester Sohn Gottlob I. (1860 - 1900) mit Familie übernahm. Aufgrund des Fleisses und der Tüchtigkeit der kinderreichen Familie Biedlingmaier zählten sie zu den wohlhabendsten Weinbauern im Dorf.
1914 - 1920 Während des Ersten Weltkrieges war ein Batallion deutscher Soldaten zum Schutz der deutschen Bevölkerung gegen Übergriffe der Nachbarbevölkerung in Katharinenfeld stationiert. Dann ergriff die Oktoberrevolution 1917 auch von Katharinenfeld Besitz und die Bevölkerung erlebte, wie die übrigen Bewohner Russlands, die Schrecken dieser Jahre in aller Härte.
1921 - 1936 Nach dem Abflauen der ersten Revolutionswelle blieb Katharinenfeld noch einigermaßen verschont und die "Neue Ökonomische Politik" (1921 - 1928) brachte dem Dorf sogar wieder einen gewissen wirtschaftlichen Aufschwung.
Im Jahre 1930 wohnten 814 Familien mit etwa 3500 Personen in Katharinenfeld, darunter 14 Familien Biedlingmaier, davon 10 Winzer. Neben der vielen Arbeit in den Weinbergen und Kellern fanden die Menschen trotzdem noch Zeit zum Theaterspielen, Musizieren, Singen, Turnen und Fußballspielen. Mit der Zwangskollektivierung (1929 - 1933) ging aber diese wirtschaftliche und kulturelle Blüte rasch zu Ende.
1937 - 1940 Die sogenannte "Säuberung" brachte auch für Katharinenfeld eine schreckliche Zeit. Hauptsächlich in der Nacht wurden fast alle Männer aus den Betten geholt und verhaftet. Die meisten von ihnen kamen nie wieder zurück. Erst in der Zeit der "Perestroika" erfuhren die Angehörigen, daß sie als "Volksfeinde" liquidiert worden sind. Unter den 350 Opfern waren auch zehn Angehörige der Familie Biedlingmaier, so auch der Vater des Verfassers - Gottlob 11. Biedlingmaier (1891 - 1944).
1941 - 1956 Im Oktober 1941 wurden die Bewohner Katharinenfelds, darunter auch alle überlebenden Biedlingmaiers, nach Kasachstan und Sibirien deportiert und kamen unter Sonderkommandantur (Aufsicht und Meldepflicht).
Viele wurden ins Lager der Trudarmee (Arbeitsarmee) verschleppt. Die Familie des Verfassers, Wilhelm Biedlingmaier (geb. 1912), kam in das Dorf Lugansk, Gebiet Pawlodar in Nordkasachstan.
1957 Nach Aufhebung der Sonderkommandantur zog die Familie des Verfassers Ende 1957 in den Süden Kasachstans, nach Tekeli/TaldyKurgan, weil die Rückkehr in die ursprünglichen Heimatgebiete strengstens verboten war. Später zogen sie nach Alma-Ata, wo sie bis 1990 lebten.
1990 - 1995 Nach vielen Bemühungen erhielt der Verfasser und seine Familie die Genehmigung zur Aussiedlung und wohnt jetzt in Düsseldorf. Die Überlebenden der Biedlingmaiers aus Katharinenfeld sind fast alle nach Deutschland ausgesiedelt und damit in das Land ihrer Vorfahren zurückgekehrt.
Im Oktober 1993 fand in Hohenstaufen/Württemberg, dem Ursprungsort der Biedlingmaiers, ein Familientreffen statt, an dem 180 Träger dieses Namens aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz teilnahmen. Selbstverständlich waren die Biedlingmaiers aus Katharinenfeld auch mit dabei.
Die Ausstellung wurde veranstaltet von der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e.v., unterstützt von der Friedlandhilfe e.v. und dem GDL Friedland, sowie gefördert vom Bundesministerium des Inneren, Berlin.